| Sind  die Aufstände in den arabischen Ländern das Ende des globalen Neoliberalismus?
 Roland Spitzer
 Es ist das Streben nach  Freiheit, welches der Motor der Aufstände in Nordafrika ist. So möchten uns es  jedenfalls die neoliberalen Medien vermitteln. Doch was geschieht wirklich in  den arabischen Staaten? In so manchem Nebensatz kommt auch die Presse nicht an  der Tatsache vorbei, dass es eigentlich die Demontage der Mittelschicht, Hunger  und die enorme Perspektivlosigkeit der Jugend ist, welche die Menschen in den  Protest gezwungen haben. Dies auch deshalb, da sich einige Wenige auf Kosten  der Bevölkerung unsäglich bereichern.
 Sicher spielt auch das  Streben nach persönlicher Freiheit eine nicht unerhebliche Rolle, wobei in  diesem Zusammenhang sehr oft vom aufrechten Gang, welchen die arabischen Völker  einüben, die Rede ist. Ein Aufstehen der Menschen, welchen bewusst wurde, dass  sie ihr Leben selbst bestimmen können und Fremdbestimmung kein unabwendbares  Schicksal ist.
 Die arabische Welt hat  augenscheinlich beschlossen, eine Kaste abzuschütteln, welche sich auf Kosten  der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung hemmungslos bereichert, und vielen  Menschen die Möglichkeit auf ein würdevolles Leben verwehrte.
 
 Gerne wird dies in  vielen Medien als spezifisches Problem der arabischen Welt dargestellt. Sind es  doch Despoten, welche mehrere Jahrzehnte, meist drei und mehr, herrschen. Mit  der Realität in Europa hat dies gar nichts gemein – so der Tenor der Medien des  Mainstream.
 
 Doch was geschah  eigentlich vor rund drei Jahrzehnten in der westlichen Welt? 1979 läutete der  Neoliberalismus mit der Wahl von M. Thatcher in England seinen Siegeszug in der  westlichen Welt ein. Schon ein Jahr später wurde mit der Wahl von Reagan in den  USA die zweite Bastion eingenommen. Prägend für diese Zeit waren der  Thatcherismus, sowie die Reaganomics, beides Modelle, welche durch Steuersenkungen  für einige Privilegierte den sozialen Abstieg breiter Bevölkerungsschichten  über Jahrzehnte einleitete.
 
 Eine wichtige Aufgabe  bestand seinerzeit darin, den Günstlingen neoliberaler Politik auch einen  ungehinderten Zugang zu notwendigen Energiequellen zu sichern. In dieser Zeit  waren es eben die Quellen in der arabischen Welt, welche diesen Zugang sichern  sollten. Es wurde eine Handvoll von Diktatoren installiert, welche fast 300  Millionen Menschen kontrollieren und notfalls brutal unterdrücken sollten.  Demokratie und Menschenrechte hatten ja nur in der westlichen Welt einen Wert,  welcher gegenüber dem Ostblock aufrecht erhalten werden musste.
 
 Damit die Menschen in  diesen Staaten nicht den Versuchungen des damaligen Ostblockes erliegen  konnten, wurde auch ein, wenn oft bescheidener Lebensstandard gewährleistet.  Mit dem Fall der Mauer in Deutschland, und dem damit besiegelten Ende des  Ostblockes war diese Rücksichtnahme nicht mehr nötig. Weltweit begann ein  Raubzug der Umverteilung gesellschaftlicher Reichtümer in die Hände einiger  Weniger, erst schleichend, dann immer brutaler.   In Deutschland wurde dieser Prozess 1998 mit der Bildung der Koalition  von SPD und Grünen zunehmend verschärft. Auch hier stand die Umverteilung des  gesellschaftlichen Vermögens im Mittelpunkt der politischen Aktivitäten.
 
 Doch was unterscheidet  uns von den arabischen Ländern? Es ist das Niveau, auf welchem der soziale  Abbau begann. Noch haben wir in breiten Kreisen der Bevölkerung das  Armutsniveau arabischer Länder nicht erreicht. Aber wir sind mit der  gegenwärtigen Politik auf dem besten Wege, dieses Manko sehr schnell  auszugleichen.
 
 In der arabischen Welt  sind die Gierigen auch an der Macht. In der westlichen Welt haben diese ein  Stellvertretersystem etabliert. Sogenannte demokratisch gewählte Volksvertreter  sollen ihre Macht sichern –  die Macht  von Bankvorständen, Spekulanten, und anderen die Bevölkerung aussaugenden  Individuen. Diese Demokratie dient nur der Wahrung eines Anscheins, führt breite  Teile der Bevölkerung jedoch ebenso in den sozialen Ruin, wie Diktatoren in der  arabischen Welt.
 
 Des Problem der  Perspektivlosigkeit junger Menschen, der Verarmung der Mittelschicht ist doch  auch nicht der westlichen Welt fremd. Ob Spanien, Portugal, oder auch Millionen  von Menschen in Deutschland – auch ihnen wird der Zugang zu einem  menschenwürdigen Leben verwehrt. Soziale Unruhen sind nicht nur ein Phänomen in  der arabischen Welt. Auch Europa wurde von diesen schon massiv erfasst. Seien  es Spanien, Portugal, Island, Frankreich, oder auch die Studentenproteste in  Österreich und England – noch sind es kurzzeitige Symptome des Aufbegehrens,  aber sozialer Sprengstoff wird hier dermaßen angereichert, dass unkontrollierte  Entladungen nicht ausgeschlossen werden können.
 
 Doch versucht man uns  zu erklären, dass es in Ägypten ein besonderes Problem gibt, welches zu großen  Verwerfungen in der Weltpolitik führen könnte. Da gibt es die  Moslem-Bruderschaften, welche eventuell an einer zukünftigen Regierung  beteiligt werden könnten, ein religiöser Zusammenschluss, welcher nicht einmal  den Status einer Partei hat. Doch wenn diese Brüderschaften diesen hätten,  würden sie ca. 20 % der Wählerstimmen erringen. Eine religiös orientierte  Partei als Regierungspartner, das ist nicht tragbar und könnte Extremisten  ermuntern.
 
 Religiös orientierte  Parteien in Deutschland wären wohl nicht denkbar!? Doch was ist mit CDU/CSU?  Aktuellen Umfragen zufolge würden beide Parteien etwa 38 % der Wählerstimmen  erhalten – fast doppelt so viel, wie die Moslem-Brüderschaften. Unter diesen  Christen gibt es ebenso Extremisten, seien es den Holocaust verleugnende  Priester, wie es die Pius-Brüder gelegentlich tun, oder so manche  Vertrauenspersonen, welche schon mal gerne ihre Triebe an Minderjährigen  ausleben. Natürlich sind dies nicht Eigenschaften aller Christen, aber ich  könnte mir auch vorstellen, dass muslimisch geprägte Länder davor warnen, dass  in Deutschland Christen an der Regierung beteiligt werden könnten.
 Wäre man wirklich  konsequent, dann würde auch Deutschland für weltweit laizistische und  demokratische Staatsformen eintreten – aber das geht gerade nicht.
 
 Doch zurück zur  Schlagzeile. Das Ende des Neoliberalismus wird wohl noch mit vielen Schmerzen  verbunden sein. Die Ereignisse in der arabischen Welt zeigen uns jedoch auch, dass  der aufrechte Gang weltweit möglich ist. In Europa sollten wir diesen verstärkt  einüben!
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